Kagoshima – Beppu

Die Hölle ist wunderschön

Ihr Lieben,

in Kagoshima angekommen, tobte Phanfune über der Stadt, es goß aus Kannen und stürmte, dass sich die Palmen neigten. Trotzdem war es sehr warm. Die automatisch jeder Hostel-Buchung anhängende Wegbeschreibung war kryptisch, „Fahren mit Straßenbahn Izurodentai bis Izurodai dori“, allerdings enthielten die Angaben an den Bahnen keinen einzigen lateinischen Buchstaben. Nachdem ich an der Bahnhaltestelle einige Trams an mir vorbeifahren ließ und vergeblich hoffte, dass sich eine Idee oder ein glücklicher Umstand einstellte, stieg ich ein und verließ mich auf mein Sonntagskindgefühl. Und siehe da, nach einigen Stationen, bei denen ich herausfand, wo die Haltestellennamen an den Straßen angeschrieben stehen, tauchte auf einmal Izurodai dori auf. Im Gegensatz zum bequemen Suica-Card-Fahren in Tokyo machte ich mich zum Ziel gespannter Erwartung: Wie bezahlt er denn jetzt, kriegt er’s raus? Mit meiner Körpergröße bin ich Blickemagnet. Ich fand es heraus, bezahlte 160¥ beim Aussteigen – das ist recht häufig in Japan, merkte ich im Laufe der Zeit – und fand mich nach einigen Irrwegen am Green House Hostel wieder.

 

Ich buche nach Lust und Laune immer spontan über die App Hostelworld, welche mir die passenden Schlafgelegenheiten am gewünschten Ziel anzeigt, inkl. Preisen und Vorschaufotos von den Zimmern. Meistens sind es 4, 5 oder 10 Bett-Zimmer, gemischt oder getrennt geschlechtlich. In Tokyo lag ich mit zwei Französinnen, einer dicken und einer dünnen, typischen, und einem Südkoreaner im Zimmer, in Kagoshima sind es jeweils 10 Betten mit unterschiedlichsten Nationalitäten, von Finnen über Chinesen, Franzosen, Indern und mehr bis zu – wenigen – Deutschen. Wichtig ist mir bei der Buchung freier WLAN-Zugang und der Preis. Dieser reicht von 10€ bis 25€ pro Nacht, je nach Ort und Beliebtheit. Kagoshima kostet zum Beispiel 15€. Es gibt in der Regel eine Küche, Waschmaschine gegen Gebühr, Computer, Stadtpläne, kostenlose Bettwäsche. Japan ist sehr sauber, die Hostels sind meist ein wenig chaotisch aufgrund der vielen Mentalitäten, aber nie schmutzig, man kann ohne Bedenken die Dusche, Klo, Bettwäsche und alles andere benutzen. Selbst die öffentlichen Toiletten in den Städten sind kostenfrei und in sauberem Zustand. Kein Japaner würde auf die Idee kommen, seinen Müll irgendwo liegen zu lassen. Essen, Trinken, Rauchen beim Gehen auf der Straße sind verpönt, es gibt keine Hunde. Dafür sieht die Architektur oft lieblos und zusammengewürfelt aus, manchmal hat man den optischen Eindruck, in einer tschechischen Kleinstadt zu sein.

Ich bezog mein Bett, von draußen drückte der Sturm gegen das Fenster, und beschloss, trotz allem noch einmal loszuziehen, Hunger hatte ich auch. Kaum stand ich auf der Straße wurde der Regen dünner, von hinten brach irgendwo die Sonne durch und ein geisterhaftes oranges Licht legte sich über die Stadt. Der Wind nahm einem den Atem, über dem Sakurajima spannte sich ein Regenbogen, man sah aber nur den Fuß des Vulkans, der Rest verschwand im Nebel. Ich knipste ein paar Bilder und kämpfte mich gegen den Wind Richtung Innenstadt. Es waren kaum Leute unterwegs, obwohl weite Teile der kleinen Gassen zur Mall umfunktioniert und überdacht sind. Irgendwann fand ich ein kleines Lokal, das mir vom Preis her zusagte und ging rein.

In der Regel stehen vor den Kneipen Aufsteller mit Bildern und Preisen der angebotenen Speisen, manchmal auch Vitrinen mit täuschend echt nachgebildeten Repliken aus Plastik. Trotzdem weiß man oft nicht, was denn da dargestellt wird, man sollte sich also auf geschmackliche Überraschungen einstellen und nach Möglichkeit nicht mäklig sein. Nun, letzteres habe ich mir im Laufe der letzten Jahre bis auf Ausnahmen, Rosenkohl!, abgewöhnt und gegen Neugier eingetauscht.

Ich war der einzige im Lokal. Dabei orientiere ich mich doch gern am Verhalten anderer Mitesser. Die Bedienung bestand aus drei Leuten, einer Kellnerin, dem Wirt und einem Mann, dessen Funktion im Dunkel blieb, der aber sehr geschäftig Dinge tat. Ich bekam einen heißen grünen Tee, sicher wegen des Wetters, sonst ist er bisher immer eiskalt gewesen, und die Karte, wie gewohnt mit Bildern. Die Kellnerin lächelte unentwegt, verbeugte sich hin und wieder und zog sich zurück. Nach einigem Geblätter tippte ich auf etwas, das wie Nudeln mit Misosuppe aussah, Kostenpunkt aus dem Gedächtnis um die 450¥, also um die 3,20€. 5 Minuten später kam die erste Schüssel, der Inhalt sah wie Vanillepudding mit einem rosafarbenen Bonbon als Verzierung aus. Zum Glück gab es dazu einen Holzlöffel. Flugs gekostet, ich vermute mal Aalpudding, hin und wieder entdeckte ich Fischstücke, der Bonbon war eine runde Scheibe irgendeines Fisches. Das Ganze war warm, sehr ungewohnt und außerordentlich lecker. Währenddessen kam der Rest des Gedecks, die Nudeln waren ein unbekannter Kohl, die Misosuppe wie erwartet. Ich hatte das Gefühl, die drei starren mich die ganze Zeit an, wie ich wohl mit den Stäbchen zurechtkam, ob es mir schmeckte, das tat es!, was ich sonst so für einer bin. Ich stellte mich nicht allzu blöde an, schlürfte laut aus der Schüssel – das gilt hier als Ausdruck des Genusses – und schob mir dabei den Suppeninhalt in den Mund. Das hatte ich bei anderen Gelegenheiten beobachtet. Auf der einen Seite der Theke lief ein Fernseher, dorthin ließ ich aus Verlegenheit meinen Blick immer wieder schweifen, sobald ich die Kellnerin ansah, schaute diese betreten zur Seite, das erinnerte mich irgendwie an Pichette, den besten Hund der Welt.
Bezahlt habe ich bisher immer am Ausgang, direkt am Eingangsbereich befindet sich dafür eine Kasse und die Kleiderhaken. Nachdem ich keinen Yen mehr als auf der Karte stand abgegeben hatte, in Japan ist Trinkgeld des Teufels, gerade bei Ausländern zählen die Einheimischen lieber nochmal nach, um ja nicht zu wenig herauszugeben, erhielt ich vom grinsenden Wirt ein wortreiches Lob, wie gut ich mit den Stäbchen hantieren würde, wurde rot, bedankte mich – Arrigatou – und stand wieder auf der Straße.

Die Sprache ist eine große Barriere. Man kommt mit Englisch zwar halbwegs durch, in Kagoshima aber spricht das nicht mal die Touristeninformation. Ich verlege mich dann immer auf Lachen, Grinsen und Hände, Füße und alle Sprachen, die ich kenne. Bisher klappte das ganz gut.

Ich schlenderte noch ein bisschen durch das Wetter, ging zum Hafen, wo das Meer Gischt und Qualle spie, vorbei am Shopping Park ›Dolphin Port‹, dann zurück zum Hostel. Unterwegs kaufte ich mir ein Bier, das hilft etwas gegen den Jetlag bei den 7 Stunden Zeitunterschied. Ich schlafe eigentlich gut, bis auf eine Nacht in Tokyo, in der es einfach zu warm war, habe ich keine Probleme. Ich stecke mir Ohrenstöpsel rein, höre ein Hörspiel und schlafe darüber in der Regel nach kurzer Zeit ein. Aber das Aufstehen! Egal wie spät es ist, ich könnte immer liegen bleiben. Da hilft nur ein starker Kaffee.

Am nächsten Tag war es heiter, große, blaue Flächen wechselten sich mit Wolken ab, es wurde von Minute zu Minute wärmer. Nach Kagoshima bin ich hauptsächlich wegen des Vulkans Sakurajima gefahren, der soll ununterbrochen aktiv sein, heute schien er zu schweigen. Ich duschte, schnappte mir einen Stadtplan und bestieg einen in der Stadt gelegenen Hügel, von wo aus der Vulkan gut zu sehen sein sollte. Auf dem Weg durch Bambus und Gingkobäume, unglaublich viel Vogelgezwitscher und Insektengesurre, begegnete mir niemand. Ich brauchte einige Zeit dafür, da ich hin und wieder versuchte, eins der Vögelchen zu entdecken, was mir nicht gelang. Auch nahm ich die Geräusche mit dem Diktiergerät auf. Am Aussichtspunkt angekommen, stand dort eine Souvenirbude und jede Menge Menschen. Einige Fotos später, bisher war nichts von der Vulkanaktivität zu sehen, setzte ich mich auf eine steinerne Bank und beobachtete die Leute.

Selfies sind in. In Japan kann man an vielen Ecken ausziehbare Stöcke kaufen, in die man sein Smartphone einspannen kann, damit man sich auch ja richtig in Szene setzt, mit und ohne Fernbedienung. Der Vulkan im Rücken, oder lieber an der Seite? Oder doch von oben, sieht man da was? Ach nein, von unten, die Sonne schmückt zusätzlich. Querformat, Hochformat, oder gleich schräg? Vor allem junge Frauen finden kaum ein Ende, schminken sich vorher, zwischendurch, kontrollieren den Sitz von BH und Frisur. Also eigentlich wie in Deutschland.

Nach einer Weile wanderte ich weiter, zurück in die Stadt, die Uferpromenade entlang, vorbei am Hafen, ich sah Delfine – leider gefangene. Kagoshima hat außer dem Vulkan nicht viel zu bieten, die lokale Geschichte bleibt unverständlich, da nur wenige Tafeln an Denkmälern in Englisch abgefasst sind. Mittlerweile war es 15:00 Uhr und ich stand zufällig vor dem Fährhafen, stellte fest, dass die Fähre zur Vulkaninsel nur 160¥ kostete und fuhr einfach mal hinüber. Auf der anderen Seite kann man eine Bustour mitmachen, diese bringt einen an die Foto-Hotspots rings um den Sakurajima. Sie kostete in meinem Fall 500¥ und sollte eine Stunde dauern, längere und teurere Touren waren aufgrund der fortgeschrittenen Zeit schon vorbei. Anders als mit Bussen oder eigenem PKW kann man kaum näher an den Vulkan heran, außer vielleicht auf der Straße zu den Punkten laufen, das Kerngebiet, die beiden Gipfel, ist für alle gesperrt. Mit dem mühsam radebrechend erstandenen Ticket kann man alle Busse auf der Insel fahren, was sich recht bald als Verhängnis herausstellte. An der Haltestelle hält auch der normale Linienbus, in den ich einfach einstieg. Der Fahrer hatte auf typisch japanische Art genickt und gelächelt, als ich ihn fragte, ob das der richtige Bus für die Rundfahrt sei, nach ein paar Haltestellen hatte ich aber über ein im Bus liegendes Faltblatt herausbekommen, das die Sightseeing-Tour – und zwar die letzte des Tages – 16:35 Uhr am Fährhafen startet. Ich stieg sofort aus, seit dem Einsteigen waren 8 Minuten vergangen, und hoffte, dass in die Gegenrichtung bald wieder ein Bus fuhr. Kurz zusammengefasst, auf japanische Pünktlichkeit kann man sich verlassen, eine halbe Minute vor Abfahrt saß ich im Tour-Bus, wie ein richtiger japanischer Tourist sprang ich an jedem Aussichtspunkt mit den anderen raus, knipste alles wie ein Wilder, und der Berg spielte mit. Er brach bilderbuchmäßig vor blauem Himmel mit einer hohen Rauchsäule in Form eines Drachenkopfes aus.

Die Gegend um den Sakurajima ist sehr fruchtbar, die Bauern ernten dort 35 kg schwere Rettiche, es wachsen Mandarinenbäume. Vor 29000 Jahren wurde die Insel aus dem Meer gesprengt, bei einem der letzten Ausbrüche blieb eine Brücke zum Festland stehen, es ist also in Wahrheit eine Halbinsel. Teile der Gegend, wo die Asche niederregnet, sind aber auch völlig unbewachsen. Glücklich kehrte ich nach diesem Ausflug mit der Fähre zum Festland zurück, knipste noch die untergehende Sonne über den Bergen und den aufgegangenen Mond über dem Vulkan und landete wieder in Kagoshima. Hunger hatte ich jetzt.

Die japanische Küche – ein Traum. Beim dem Hostel am nächsten liegenden Fast Food-Restaurant bestellte ich die landestypische Spezialität, eine Schüssel in süßer Sojasoße gebratene Fleischstücken auf Reis und schlang diese hinunter. Sehr lecker. Dabei beschloss ich, am nächsten Tag weiterzureisen, so viel gab es in der Stadt nicht mehr zu sehen. Das Drachenfest in Nagasaki hätte mich interessiert, doch es waren alle Schlafgelegenheiten in meiner Preisklasse ausgebucht. Fukuoka, später. Im Internet empfahl man Beppu, die dortigen heißen Quellen – die Höllen von Beppu – seien weltberühmt. Kurz gecheckt, ob und wie man dort mit dem Zug hinkam, ein Restrisiko blieb, da ein Teil der Strecke nicht von Japan Railways betrieben wird, und dann drückte ich auf Buchen, Spa Hostel Khaosan Beppu für 10€ die Nacht würde es sein.

Beppu entpuppte sich als chaotisch in der Straßenführung, wie immer half mir die moderne Technik nach einer Weile Rucksackgeschleppe und einigen Irrgängen durch 30° das Hostel zu finden. Es ist spartanisch, aber sauber, soviel nur dazu. Am Empfang begrüßte mich eine nette junge Bilderbuchjapanerin, wies mich ein und nach dem Abstellen des Rucksackes, mittlerweile war es 17:00 und die Sonne ging langsam unter, zog ich noch einmal los. Ich wollte die umliegenden Berge wenigstens ein bisschen erklimmen um mir einen Überblick zu verschaffen, das Meer sehen, vielleicht sogar schon den Weg zu den Höllen erkunden. Ich landete in einem Park, die ganze Stadt schien zu joggen, die Kinder hatten Schulschluss oder gingen zum Training – rings um sportive Hektik. Den Weg auf die Berge fand ich auch nicht, Hunger bekam ich.

Die Japaner leben im Großen und Ganzen sehr gesund, hat man den Eindruck. Was das Essen betrifft sowieso, aber sie sporteln auch ständig herum, sind meist schlank und drahtig. Dieses Bild sollte sich in der Kneipe aber nicht bestätigen. Sie war voll, ein einziger Platz neben zwei älteren Männern war noch frei, der Wirt wollte mich erst nicht reinlassen. Zwei junge Studenten legten ein gutes Wort für mich ein – schon am Bahnhof von Beppu steht ein Denkmal mit den Worten »Don’t forget to show hospitality to strangers«, wobei ich das strangers sowohl mit Fremde als auch Seltsame übersetzt sehen würde – jedenfalls saß ich kurz darauf neben diesen Herren. Im Schneidersitz, die Schuhe standen vor dem Podest, auf dem die Sitzkissen lagen, vor mir ein halbhoher Tisch, unter den geübte Schneider ihre Knie platzieren konnten. Ich nicht. Nachdem die Kellnerin mir viel zu kleine Holzsandalen hinstellte und mich zur Vitrine mit den Angeboten geführt hatte, glaubte ich, noch einmal komme ich nicht in diese Körperhaltung zurück. Es war zu spät, ich hatte bestellt, in Sojasoße gebratenen Fisch, ich tippe auf Heilbutt und Reis, dazu Stäbchen und ein Bier. Die Männer neben mir rauchten eine nach der anderen, schwatzten auf mich ein, lachten laut, waren aber nicht unnett. Wir verstanden voneinander nur, dass sie aus Beppu und ich aus Deutschland kam. Dresden sprachen sie wie Bristol aus, wer weiß, wie das Weltbild hier aussieht.
Ich aß schnell. Ich konnte auf den letzten Metern des Fisches kaum noch meine Füße fühlen, die Gelenke im Schritt waren schon vor einiger Zeit abhanden gekommen und riefen sich nur durch häufiger werdendes Pochen in Erinnerung. Es schmeckte wie bisher immer in Japan fantastisch. Das schnell getrunkene Bier tat sein Übriges, ich wollte nur noch ins Bett. Wenn ich hier wieder hochkam.

Normalerweise finden sich in japanischen Kneipen sowohl die traditionellen Sitzkissen mit den halbhohen Tischen als auch normale Stühle, dann meistens an der Theke. Die Leute essen dem Wirt zugewandt, oft schweigend und hastig. Traditionelle Gaststätten legen meist keinen gesteigerten Wert auf ausländischen Besuch, der benimmt sich peinlich, und sie ertragen es nur schwer, wenn jemand sich peinlich verhält. Tolerieren schreibt ihnen aber ihre Höflichkeit vor.

Nach einer traumlosen Nacht im Vierbettzimmer besuchte ich heute zwei traumhafte Orte: Die Höllen von Beppu und den Onsen. Für die Höllen sprechen die Bilder – heiße Quellen – daher zum Onsen.

Der Onsen ist eine richtig japanische Angelegenheit. Ich komme in eine kleine Halle, davor steht eine Buddha-Figur, würde ich sagen, drinnen sitzt eine ältere Frau an der Rezeption. Sie bedeutet mir sofort, die Schuhe auszuziehen, wie an vielen Orten in Japan. Dann kassiert sie von mir 100¥ und weist mir den Weg nach links, durch einen Tür, die bis zur halben Höhe von schwarzen Vorhängen mit Schriftzeichen verdeckt ist. Dahinter befinden sich Regale, zwei Männer ziehen sich gerade an. Ich hatte gehofft, sie beginnen erst, ich bin ein bißchen auf Lernen durch Zuschauen angewiesen. Laut Wikipedia ist die Einhaltung der Etikette im Onsen besonders wichtig. Ich ziehe mich aus, bekomme mit Händen und Füßen mitgeteilt, dass auch die Schlüpfer zu entfernen ist, wobei mir das natürlich klar war, stopfe alles in ein Fach und gehe durch die Tür in den Baderaum. Links eine Reihe von Hockern vor steinernen Waschtischen in Kniehöhe, abteilweise leicht voneinander abgetrennt, Duschen und Spiegel dahinter an der Wand. Der Raum wird ansonsten durch zwei Becken eingenommen, vielleicht einen Meter tief, ein kleines Treppchen führt jeweils hinein. An der Stirnseite ein Fenster, gegenüber ein ordentlich aufgeschichteter Stapel Plastikschüsseln. Man setzt sich auf den Hocker, wäscht sich ausgiebig, auch die Haare, rasiert sich Gesicht und bei Bedarf andere Regionen, schrubbt sich erneut, bis man völlig sauber ist, spült, und das ist mindestens ebenso wichtig, den Schaum penibel von sich ab, reinigt den Hocker und den genutzten Platz gründlich und steigt in das erste Becken. Bis zu den Knöcheln. Dann signalisiert einem der Verstand, dass man kein Frühstücksei ist. Der Japaner, der vor einem bis auf den Kopf im Wasser liegt anscheinend schon. Er beobachtet mich, ich bilde mir ein, er grinst. Dann weist er mit einer sparsamen Geste auf das Nachbarbecken. Ich tauche den Fuß dort vorsichtig ein, stelle fest, dass die Temperatur mir schon eher zusagt und lege mich hinein. Wenn ich bade, dann gerne ziemlich heiß, dachte ich bisher. Das Wasser hier ist mindestens 5 Grad wärmer. Nach vielleicht 5 Minuten setze ich mich vorsichtshalber erst einmal auf den Beckenrand, einige andere, mittlerweile Dazugekommene, machen das auch so und man muss es ja nicht herausfordern. So geht das im Wechsel eine Weile, ich probiere zwischendurch mal das noch heißere Becken, ohne Erfolg, mache etwas für Japaner ungewöhnliches, indem ich mich mit Hilfe der Schüssel mehrmals mit kaltem (lauwarm, kalt scheint’s hier nicht zu geben) Wasser übergieße und beende meinen Onsen-Ausflug nach vielleicht einer halben oder dreiviertel Stunde, fix und fertig. Im Umkleideraum, fällt mir dabei auf, gibt es einen Laufstall für Kinder, damit sich die Väter – und sicher äquivalent im Frauenbereich die Mütter – in Ruhe umziehen können. Außerdem steht im Eingangsbereich ein Fernseher, der war mir vorhin gar nicht aufgefallen, jetzt läuft er und zwei Jungs im nicht waschbaren Alter von 4-14 sitzen davor und glotzen Trickfilme. Draußen atme ich zuerst tief durch und kaufe am nächsten Getränkeautomaten eine Dose Ananassaft, die ich in einem Zug hinunterstürze.

An der Kasse im Supermarkt
»Plastetüte, wollen sie eine?«
Ich nicke, sage »Ja!« – sie auch – und gibt mir keine.

Hier wird nicht nein gesagt, ja heißt aber nicht ja.

Bleibt gesund!

…kuss /mischenka