Beppu – Kitakyūshū – Hiroshima – Ōsaka

Rehe und Rotlichviertel

Ihr Lieben,

sicherlich hätte ich noch eine ganze Weile Beppu und vor allem Umgebung erkunden können, die Hauptspots aber hatte ich gesehen. Eigentlich sollte es nun nach Fukuoka weitergehen, dort war aber alles ausgebucht. Muss ich eben irgendwann nachholen. Stattdessen fand ich in Kukora eine preiswerte Herberge, eine alte Burg soll es dort geben, irgendwas zum Ansehen würde sich also finden. Ich besuchte am Abend zuvor noch einmal den Hostel-Onsen, in Wärme und Austattung kein Vergleich zum benachbarten Stadtteil-Onsen, verabschiedete mich am Morgen von Myuki, dem Rezeptionsmädchen des Hostels und zog zum Bahnhof.

 

Anfangs überlegte ich, ob ich das Fast Food Restaurant Sushi Meijin noch einmal besuchen sollte, es war gar zu lecker und preiswert.

Es empfiehlt sich immer eine halbe, dreiviertel Stunde früher auf dem Bahnhof zu sein, meist steht eine Schlange am Schalter, wo die Sitzplatzkarten gekauft werden, und japanische Züge haben keine Minute Verspätung, kommen pünktlichst an und fahren ebenso pünktlichst ab. Mit Rennen und auf die obligatorische Verspätung hoffen, wie bei uns in Deutschland hat man keine Chance. Zudem ist das Einsteigen geregelt, man weiß vorher, wo welcher Wagen hält – punktgenau vor dafür auf dem Bahnsteig markierten Bereichen, dort stehen dann ordentliche Schlangen von Reisenden – und läuft nicht durch den ganzen Zug, um seinen Platz zu finden. Die Bahnsteige sind lang. Die Ansagen sind zumindest in den wichtigsten Details zweisprachig gehalten, die meist niedlich klingende Mädchenstimme spricht auf Englisch die Städte- und andere japanische Namen extra langsam aus. Im Zug kommt alle Viertelstunden ein weiteres Mädchen – sicher wirken sie nur so jung, ich unterhielt mich im Hostel mit Yuki, einem Systemingenieur aus Tokio, er entwickelt »Pläne für Banken«, sah aus wie 20, war aber bereits 32, er erzählte, dass er in den USA, wohin ihn eine Dienstreise führte, immer seinen Ausweis beim Kauf von Bier vorlegen musste – diese Mädchen kommen jedenfalls regelmäßig vorbei und bieten von einem Wagen Getränke, kleine Snacks und Souvenirs an. Bei ihnen kann man angeblich auch eine heiße Nudelsuppe bestellen, die dann am nächsten Bahnhof frisch zubereitet an den Sitzplatz gebracht wird. Das habe ich aber noch nicht probiert.
In Kitakyūshū, das unter anderem aus der ehemalig selbständigen Stadt Kokura besteht, heute ein Stadtteil, ist es sehr warm. Ich folge der Beschreibung » Entlang der Monorail-Bahn, an gelber Bank links« und habe das Gefühl, im Rotlichviertel der Stadt gelandet zu sein. Die Bars mit Namen wie »Pretty Women«, » Peaches« oder »Come inside« haben zwar noch geschlossen, wirken aber alle ein wenig verrucht.

Die Abendbeschäftigung in Japan ist mit dem Wort seltsam nur schlecht beschrieben. Japaner kommen anscheinend von ihrem sicherlich recht stressigen Arbeitstag nach Hause, ziehen die Schuhe aus, werfen die Klamotten in die Ecke beziehungsweise hängen sie eher sehr ordentlich irgendwohin, ziehen sich um, meist schwarze Hosen und weißes Hemd, die Frauen betakeln sich ein wenig, ziehen die Schuhe wieder an und gehen in die Spielhölle. Davon gibt es Unmengen. Höllischer Lärm dringt heraus, Geldgewinne sind verboten. Da sitzen sie dann in langen Reihen inmitten diesen Lärms, hämmern auf die Computerspielterminals ein und nehmen nach einer Weile, wenn sie Glück haben, Plüschtiere oder Schokolade mit hinaus. Sie treffen sich danach mit Freunden in solchen Vierteln wie in meinem, dort warten vor jeder Bar leicht bekleidete, junge Mädchen oder stellenweise, für die Damen, auch gut aussehende, junge Männer. Diese animieren durch ihre bloße Anwesenheit die Vorüberschlendernden zur Einkehr. Drinnen bekommen die Gäste dann das Bier von diesen Hostessen eingeschenkt oder die Pfeife angezündet, anfassen ist verboten, 50 Minuten im Beisein der jungen Hübschen kosten zwischen 3500 und 5000 Yen (25 – 35 €), je nach Prestige der Bar, Getränke sind im Preis nicht inbegriffen. Häufig fallen dann beim Karaoke Selbstbeherrschung und äußerer Schein, außerhalb des Hostels konnte man an allen Ecken Möchtegern-Sinatras und -Madonnas hören. Entweder die Nacht wird durchgefeiert, was zumindest außerhalb Tokios bis ca 1:00 Uhr bedeutet, oder man geht, wenn das Geld alle ist, nach Hause, zieht sich wieder um und schlappt in Badelatschen, mit Handtuch und frischen Socken bewaffnet, in den nächstgelegenen Onsen. Am nächsten Tag ruft der Job wieder, mit Pflichtbewusstsein, extrem höflicher Ergebenheit und Aufopferung. Er geht bei den meisten wohl nicht vor 9:00 Uhr los, bis dahin ist es verhältnismäßig ruhig auf den Straßen. So erklärte man mir das alles an der Hostel-Rezeption, nach dem Rotlichtviertel habe ich mich nicht zu erkundigen gewagt, man hat ja auch seinen Stolz und will nicht in schlechtem Licht erscheinen. Eine Spielhölle hieß übrigens OPA, was hier natürlich etwas anderes bedeutet.

Das Hostel ist sehr angenehm, man hat eine Art eigene Schlafbox, wie ein Schuhkarton, 1,5×2 m, dort steigt man wie in das eigene Schrankabteil rein, zieht den Vorhang am Eingang zu und hat seine Ruhe. Jede Box hat einen eigenen Zugang zur Klimaanlage, Lampe und mindestens eine weitere Steckdose am Bett sind sowieso Standard. Ich sehe mir die Stadt an, den Fischmarkt (Tanga-Markt heißt der), esse dort etwas ungewohntes, die leider geschlossene, alte Burg besichtige ich von außen. Am nächsten Tag verlasse ich Kokura in Richtung Hiroshima.
Hiroshima ist natürlich vor allem wegen des Atombombenabwurfs bekannt. Auch ich besuche den Peace Memorial Park und das Peace Memorial Museum, fotografiere den Atombomben Dome, eine stehengelassene Ruine ähnlich unserer Frauenkirche früher. Es ist erschreckend und zum Heulen, die Bilder, die auf Englisch erzählten Geschichten von Kindern, die überlebten. Grausam, was Menschen anderen Menschen antun, mit welcher Perfektion Waffen zum Vernichten Hunderttausender geschaffen werden. Japan stellt das sicherlich alles etwas sensationsheischend dar, mit nachgestellten Puppen und Tränendrüsenstationen, aber mir ist trotzdem innerlich kalt, als ich aus dem Museum herauskomme. Dort habe ich selbstverständlich die Unterschriftenaktion zur Ächtung aller Massenvernichtungswaffen unterschrieben – dabei ließ ich mein Tablet liegen. Ich fotografiere ja meistens zweimal, einmal mit dem Ding und einmal mit der richtigen Kamera, habe es also immer in der Hand. Mir fällt das erst 10 Minuten später an einer Kreuzung auf dem Weg in die Stadt auf, ich kann mich im ersten Moment auch nicht entsinnen, wo es weggekommen sein soll. Eine Gruppe junger Männer scheint sofort zu begreifen, was passiert ist, geht mit mir zurück zum Museum und regelt alles mit den dortigen Angestellten, keine 5 Minuten vergehen, da halte ich das Gerät, auf das ich hier angewiesen bin wie auf nichts anderes, wieder in der Hand. In Deutschland wäre es sicher weg gewesen. Hach, Japan…

Abends esse ich die örtliche Spezialität, Okonomiyaki. Man isst direkt vom Herd. Kohl oder Kraut, ein paar, wenige Gewürze, werden auf einen dünnen crêpeähnlichen Teig gelegt, ein paar Schinkenstreifen und zwei drei Krabben oben drauf, daneben dicke Nudeln, alles brät, dann wird der Krauthaufen umgedreht und immer auf den Herd gepresst, später erst die Nudeln und danach das Kraut mit dem Schinken und den Krabben drin und dem Crêpe oben drauf auf ein gebratenes Ei gehoben, kein richtiges Spiegelei, sondern das Eigelb zerfleddert, noch ein wenig weiter braten und dann schiebt die Wirtin das vor einen hin, man nimmt sich immer ein Stück auf einen kleinen Teller, der Rest brät weiter.
Genudelt schlepe ich mich ins Bett und schlafe sofort ein, vorher buche ich noch schnell das Hostel in Osaka.
Bevor ich nach Osaka abfahre, will ich noch das Weltkulturerbe Miyajima mit dem dortigen Itsukushima Shinto Schrein und dem O-torii Tor sehen und den Mount Misen besteigen. Ein sportliches Programm, es ist schließlich Sonntag und das Ganze ein beliebtes Ausflugsziel. Ein paar Bilder seht ihr im Anhang, interessant waren dort außerdem die zahmen Rehe, welche die ganze Insel bevölkern und den Touristen, auch mir, die Lagepläne aus den Taschen klauen – aber nicht fressen, so schlau sind sie dann doch. Sie geiern lieber nach den Snacks, die tausende Stände dort unter die Leute bringen. Der Seto-Inlandssee, auf den man vom Mt. Misen blickt, ist atemberaubend, auch wenn er meistens, auch diesmal, im leichten Dunst liegt. Kleine Inseln im Nebel, soweit das Auge reicht.

Und so sitze ich jetzt viel zu spät im Zug nach Osaka, fahre das erste Mal ohne reservierten Sitzplatz, die waren ausverkauft, es ist fast um acht. Ein Grund für diese späte Reisezeit ist, dass ich versucht habe, einen Platz zu bestellen und fast eine Stunde ohne letztlichen Erfolg an dem entsprechenden Schalter anstand.

Bleibt gesund!

… kuss /mischenka

Veröffentlicht in Japan