Der Dalai Lama lacht

23:45 Uhr kippt mich der Bus an einer Tankstelle vor Dharamsala ab und fährt davon, weit und breit kein Mensch, geschweige denn ein Taxi. Googlemaps sagt „Kein Problem, 7,5 km bis zum Hostel“.


Allerdings 700 Höhenmeter oder mehr mit schwerem Gepäck, es geht richtig steil bergauf, kein einziger Schritt, der nicht an eine Treppe mit hohen Stufen erinnert. Nach 2,5 km inklusive Durchsteigen eines Erdrutsches, der die Straße komplett hinweggefegt hat, lacht mir das Glück in Form eines Taxifahrers, der nicht betrunken, aber trotzdem völlig hinüber war. Wahrscheinlich gutes Himalaja-Haschisch, das einem hier an jeder Ecke in Form von schwarzen Rollen a 50 Gramm angeboten wird, 5000 Rupies. Er fuhr auch höchstens 10 km/h…

Unterwegs lädt er eine Prostituierte ein, mitzufahren, was ich in meiner grenzenlosen Naivität gar nicht checke. Auf meine völlig harmlose Frage, wo sie denn hin muss, fängt sie einen lautstarken Disput mit dem Fahrer an und verlässt mit den Worten „I want your dick und you give me money“ das Auto.
Sachen gibt’s.

20 Minuten später findet der Taxifahrer meinen Weg nicht weiter, bekommt 300 Rupies von mir und ich schlage mich alleine weiter zum Hostel durch, wo ich 2:00 Uhr einen der Nachtwächter wecke und ein Bett begehre. Geht alles klar.
Tags darauf chille ich ein wenig durch Bhagsu und MacLeod Ganj, Menschengewimmel, Straßenstände ohne Ende, leckeres Essen, Bhagsu Waterfall, mehrere Chais, alles super. Ich versuche, mich für den nächsten Tag beim angekündigten Dalai Lama Longlifepraying anzumelden, ewig leben ist genau mein Ding.

Ist aber gar nicht nötig, man kann einfach teilnehmen, 8:00 Uhr soll’s losgehen. Im Hostel werden eifrig Pläne geschmiedet, wer ebenfalls alles dort dabei sein will. Als ich am nächsten Morgen pünktlich um 6 auf die anderen warte, kommt aber niemand.
Am Tempeleingang muss man eine Maske aufsetzen, außerdem sind Mobiltelefone strikt verboten. Rucksack und Handys – wir erinnern uns, eins zum Benutzen, ein altes mit indischer SIM-Karte als Hotspot – gebe ich bei einem Mönch ab, der alles in seinen Spind in der Buddhistic Dialectic School McLeod Ganj legt und das Zimmer mit einem Vorhängeschloss zumacht.
Es gibt also keine Fotos von diesen Gebeten für ein langes Leben.

Ich sitze dort auf einer der wenigen Bänke neben zwei alten Tibetern, die ständig laut lachen, ringsum Mönche im Schneidersitz, alle in dunkelroten Gewändern mit freien Armen. Mir ist dagegen kalt, ich hatte bisher kein Frühstück und es sind nur 9 Grad. Zum Glück kommen nach einer Weile eifrige Helfys, ebenfalls junge Mönche (Mönchinnen?) durch die Reihen, geschäftig verteilen sie Pappbecher, salzigen tibetischen Tee und süßen Reis mit Mandeln und Nüssen. Ich greife ordentlich zu, siehe langes Leben. Während der gesamten Zeit werden tanzbare Mantren über Lautsprecher übertragen, tiefe Bässe, murmelnder Rhythmus. Trotzdem ein bissl einschläfernd um diese Uhrzeit. Irgendwann kommt er, der Dalai Lama, er wird durch die Menge geführt, die sich zum Teil vor ihm auf den Boden wirft. Er lacht, fasst mal diesen oder jene an, kostet von verschiedenen dargereichten Dingen und sieht ansonsten aus wie im Fernsehen. Nach gefühlt zwei Stunden hat er seinen Platz auf seinem Thron im Inneren des Tempels erreicht, wo er lange Zeit sitzen bleibt, immer mal seine irokesenartige Mütze abnimmt, sich darunter kratzt, in der Nase bohrt, lacht, mit anderen Mönchen schwatzt, die Dinge tun. Als ich kaum noch sitzen kann, turnt eine Horde Affen über das tuchartig gespannte Dach des Tempelvorraumes. Ich überlege, zu gehen.

In dem Moment fängt der Dalai Lama an, es ist kaum ein Unterschied zu vorher, nur dass nun er murmelt. Und sehr viel lacht. Alles auf tibetisch. Eine weitere halbe Stunde höre ich mir das an, dann habe ich keinen Bock mehr und gehe. Sammle meinen Rucksack in der Mönchsklause ein, das Vorhängeschloss war nicht richtig zugemacht, dann esse ich ein paar Momos und tingel zurück ins Hostel, jedesmal übrigens 55 Stockwerke laut Handy. Mittlerweile ist es 15:00 Uhr.

Ich ziehe um. Es ist nur noch ein 10-Bett-Zimmer frei, keine Vorhänge vor den Betten, letzte Nacht schnarchte unter mir Ammy aus Manchester dermaßen, dass ich kaum geschlafen habe. Ammy ist Koch und hat im Hostel am Abend vorher für alle sehr lecker gekocht – Momo Pizza – und Gin mit Apfelmus und Bier serviert, weniger lecker.

Ein Jugendlicher, der auf eine Kuh aufpasst, fragt mich, ob ich ein Zimmer suche, ich sage, ich würde es mir gern mal ansehen. Und ich lande im Paradies, bei einer indischen Famile, Einzelzimmer mit Balkon und Blick auf Dharamsala, dazu überaus netter Familienanschluss mit super Frühstück. Kalte Dusche, Hockklo ohne separate Hinterndusche, kein WiFi. Trotzdem, die folgenden 3 Nächte schlafe ich wie im Himmel, bekomme den Weg zum Triund erklärt und schwatze ausgiebig mit allen – Oma, zwei Söhne (14, 16), Mutter, Vater – sitze am Feuer in der Küche, trinke Chai. Herrlich! Das Ganze kostet nicht mal die Hälfte des Hostels (350 Rupies, 4,20€) und macht mir ein wenig ein schlechtes Gewissen.

Der Triund ist der nächstgelegene Berggipfel, dorthin starte ich am Tag darauf mit einem ausgiebigen Frühstück morgens um 7. Da ich nicht alles schaffe, bekomme ich den Rest und ein bisschen mehr eingepackt, 2 Chapatis, würziges Kürbismus, gebratene Bohnen, und bin nach zweieinhalb Stunden 850 Meter weiter oben, mit Superblick auf 4600 Meter hohe Berge. Eine weitere Stunde später sitze ich nach insgesamt 1400 Höhenmetern am Laka Chai Shop oder auch Snowline Chaishop „kurz“ (weitere 3 Stunden) vorm Laka Gletscher, es zieht sich aber zu. Und ist recht kalt, nur 3 Grad. Ich esse meine Brotbüchse leer und bin im Glück. So lecker, so schön alles, so herrlich.
Nach 20 km und insgesamt 336 Stockwerken komme ich fix und fertig wieder bei „meinen“ Indys an, völlig happy.

Im Großen und Ganzen war’s das, es blieben noch zwei wunderbare Abende mit Bobby aus Kerala zu erwähnen, mit den besten Mutton Momos der Welt im Kalimpong Restaurant MacLeod Ganj – dort isst sogar der Dalai Lama – außerdem eine Psytrance-Party im „High Lama“, wunderbar, mein Fitnesstracker jubiliert nach 30 km Laufen an diesem Tag. Gelandet bin ich dort nur, weil die Musik durch’s ganze Tal schallte und gut klang. Statt ins Bett zu gehen, musste ich nochmal quer durch die dunkle Nacht dorthin stolpern. Die Zahnbürste hatte ich dabei die ganze Zeit in der Hosentasche, als ich den Entschluss fasste, habe ich nämlich gerade Zähne geputzt. 😁

Kerala ist der einzige Bundesstaat Indiens, in dem eine kommunistische Partei regiert und Modis BJP keinen einzigen Sitz errungen hat, Indiens niedrigste Analphabetenrate findet man dort. Ist aber ganz im Süden und sehr weit weg. Bobby ist Softwareentwickler und arbeitet im Hostel immer bis 16:00 Uhr Remote für eine deutsche Firma, für ein Drittel der deutschen Gehälter – was ihn für indische Verhältnisse zum Großverdiener macht.

Heute habe ich meinen Indys schnell noch einen Akku für‘s Handy spendiert, der war mit 500 Rupies außerhalb ihres geplanten Budgets, habe weitere Chais mit ihnen getrunken und sitze jetzt in Dharamsala an einer Kreuzung auf der Bank und schreibe. In 4 Stunden (23:00 Uhr) bringt mich ein Bus nach Manali, morgen früh 7:15 Uhr wird er mich dort ausspucken. Hostel habe ich keins gebucht, ich werde versuchen, wieder bei einer netten indischen Familie unterzukommen.

PS: Bilder anzuhängen kostet viel Zeit, diese müssen immer umgerechnet werden. Auf Telegram habe ich einen Kanal, den man sich gern auch ohne Account im Browser (Chrome, Firefox, Edge, Safari) ansehen kann -> nu&nu? Ich hole das aber auch hier bei Gelegenheit nach, ebenso ein paar Verlinkungen zu Wikipedia und Co, versprochen.