Yongfune und der scheue Berg
Ihr Lieben,
ich sitze schon wieder im Shinkansen und verlasse gerade Osaka, Shin-Osaka, wie es genau heißt. Das Shin steht für Stadt, die meisten größeren japanischen Städte sind wuchernde Moloche, da muss das schon genau angegeben werden. Es geht in Richtung Tokyo, als nächstes steht der Fujisan auf dem Programm und der befindet sich um die 100 km südlich der Hauptstadt. Eben fahren wir an einem »Shinkansen-Lager« vorbei, vielleicht 80 Züge stehen hier ordentlich neben- und hintereinander aufgereiht. Mit der Kamera bin ich aber nicht so schnell, das müsst Ihr Euch jetzt einfach vorstellen. In den 20 Minuten Wartezeit in Osaka sind an den 28 Bahnsteigen vielleicht 15 Shinkansen ein- und abgefahren, allein auf meinem Bahnsteig 3 Stück. Sie haben 3 bis 5 Minuten Aufenthalt, dann schließen sich zuerst die Bahnsteigabsperrungen, kurz darauf die Türen. Das alles wird freundlich und mit Verbeugungen von Schaffnern begleitet.
Das bringt mich noch einmal zur japanischen Höflichkeit. Einerseits ist das sicherlich mit der historischen Gesellschaftsstruktur gewachsen, das muss ich in Dresden mal genauer nachlesen, die zigfachen Verbeugungen, die Anzugträger voreinander auf dem Bahnhof beim Verabschieden machen, deuten zumindest darauf hin, andererseits scheint mir hier eine tief verwurzelte Einsicht in die Notwendigkeit zu bestehen. Japan ist sehr dicht besiedelt, da macht man sich das Leben nicht noch gegenseitig schwer, angefangen bei der Sauberkeit, bis hin zum sich selbst zurücknehmen, anderen den Vortritt lassen, Rücksicht nehmen. Ich habe noch nicht einen Menschen hier in Bahn, Bus oder Zug telefonieren gehört oder gesehen. Das hat auch etwas Einschränkendes, man fängt nach einer Weile an aufzupassen, dass man nichts falsch macht… Dabei mache ich recht gern Sachen falsch.
Osaka war geprägt vom Regen, Taifun Yongfune kam genau an dem einen Tag, den ich für die Stadt eingeplant habe. Mit Tokyo und Kyoto nächste Woche sehe ich genügend große Städte, so dass mir eine ausgedehnte Zeit hier nicht sinnvoll vorkam, so viele Sehenswürdigkeiten gibt es nicht. Ich kaufte mir einen Schirm für 3€ und zog los, das Osaka Castle zu besichtigen. Auf dem Weg dorthin zeriss der Sturm den Schirm, er wurde keine Viertelstunde alt. Das Schloss samt dazugehörigem Park war von außen sehr schön anzusehen, aber ersteres war geschlossen, in Japan war an diesem Tag ein Feiertag. Die größeren Geschäfte sind zwar alle geöffnet, aber der Rest ist zu. Mit Schlössern und Burgen scheine ich hier kein Glück zu haben. Als ich völlig durchnässt war, flüchtete ich in ein riesiges Elektronikkaufhaus.
Japans Innenstädte sind durchzogen von unterirdischen Einkaufsmeilen, man kann sich darin verlaufen, auch wenn die Wege in der Regel gut ausgeschildert sind, kommen einige Kilometer zusammen, will man vom Nordeingang zum dem Gefühl nach vage am Südost-Ausgang befindlichen Yodobashi Big Camera Kaufhaus gelangen. Dieses erstreckt sich auf 10 Etagen, jede einzelne so groß wie unser ganzes Karstadt. Heutzutage ist es aber nicht mehr so, dass es vor Exotik nur so strotzt, die Globalisierung sorgt dafür, das man die allermeisten Sachen kennt, nur dass sie eben hier alle auf einmal angeboten werden, und nicht wie bei uns hauptsächlich über das Internet bestellbar sind. Die Kaufhäuser werben um ausländische Kunden mit Erlass des Ausfuhrzolles, es ist, gerade bei japanischen Waren, ein bisschen, aber nicht um Größenordnungen billiger als bei uns. Ich kaufte mir für 5€ eine ganz einfache, digitale Armbanduhr von Casio, ich vergaß im Hostel in Tokyo mein Handy und immer auf dem Tablet nachsehen war auf die Dauer zu unbequem. Öffentliche Uhren gibt es im Straßenbild kaum, der Shinkansen fährt pünktlich ab, da braucht man wahrscheinlich gar keine Uhr, es ist dann eben, wie vorhin, genau 11:17 Uhr. Das Handy bekomme ich in Tokyo wieder, wenn ich die Liebste treffe, die Uhr ist »Made in Thailand« und hat trotz des Minipreises 10 Jahre weltweite Garantie…
Apropos Thailand: In meinem Zimmer in Osaka, schlief neben einem Holländer auch ein Thailänder, er lag den ganzen Tag im Bett, seine Hauptsorge schien zu sein, dass der Smartphone-Akku alle werden könnte. Das Hostel Caminoro wird von einem Paar netter Japaner geführt, sie haben eine dreijährige Tochter und sind früher viel herumgefahren. Es war typisch japanisch eingerichtet, schlicht und spartanisch, aber mit allem was man benötigt und befindet sich in einer überdachten Einkaufsmall, mitten in einem großen Wohnviertel. Man kommt also beim morgendlichen Einkaufen mit dem normalen Leben hier in Kontakt. Die meisten fahren Fahrrad, kaufen ungewohnte Dinge ein – ich erkenne von außen ja selten was drin ist und kaufe viel auf gut Glück, gestern erwischte ich zum Beispiel an einem der vielen Getränkeautomaten einen Energy-Drink und vibrierte den halben Tag leicht. Die Wäsche scheint überwiegend in öffentlichen Waschsalons gewaschen zu werden, zumindest gibt es viele davon. Abends trifft sich der Stadtteil in einer der Kneipen, gegessen wird anscheinend selten zu Hause. Der Onsen hatte auf Grund des Taifuns leider geschlossen, er befindet sich auf dem Dach eines Hochhauses, zur Hälfte im Freien, mit Blick über die Stadt. Schade.
Osaka ist eine japanische Großstadt, im Großen und Ganzen beschränkt sich das Sightseeing auf Einkaufstempel und Hochhäuser. Zu den 3 wichtigsten Sehenswürdigkeiten zählen die Japaner in ihrem Land den Seto-Inlandssee, die Höllen von Beppu und den Fujisan. Den habe ich noch nicht gesehen. Ich buche also in K’s Guesthouse Mt. Fuji zwei Nächte und mache mich auf den Weg. Das angenehme Reisen mit dem Shinkansen habe ich oben schon beschrieben, man kann es nicht oft genug wiederholen. Kurz vor Yokohama, wo ich umsteigen werde, sehe ich den schönsten Berg der Welt, so die Japaner, fotografiere ihn bei 300 km/h aus dem Zug heraus. Von Yokohama, Millionenstadt, auch hier eigentlich Shin-Yokohama, geht es mit drei Regionalbahnen weiter über Hachioji, Otsuki nach Fujikawaguchiko. Schon beim Aussteigen fällt der Temperatursturz auf, nach vielen Tagen bei über 20, 25 Grad fröstelt es mich hier. Der Fujisan ist auch nicht mehr zu sehen, er versteckt sich hinter einer dichten, weißen Wolkenwand. Er wäre sehr scheu, sagt man in Japan. In meinem Zimmer sind insgesamt 9 Betten, zwei Leute, ein Luxemburger und ein Ire, machen sich gerade für die nächtliche Besteigung des Berges fertig. Ich überlege auch kurz, entscheide mich aber für Essen gehen und anschließend Onsen, ich habe nach dem Gewaltspurt auf den Mt. Misen ein wenig Halsschmerzen und will in der Kälte, immerhin sind nur 13 Grad, nichts riskieren.
Ramen, ein japanisches Nationalgericht. Der Deutsche würde Nudelsuppe dazu sagen, es ist in Geschmack und Reichhaltigkeit der Zutaten aber nicht mit unseren Nudelsuppen vergleichbar. Jede Menge unbekannter Gemüsesorten, geriebener Trockenfisch, das verwendet man hier als eine Art Parmesan, Sojasoße, gebratene Schweinefleischscheiben und ein Ei obendrauf, nach einer Schüssel ist man pappesatt. Ich zahle bei der schlecht gelaunt wirkenden Kellnerin, das wäre in japanischen Fast Food Tempeln normal, behauptet das Buch »Gebrauchsanweisung für Japan«, dabei hatte ich die klassischen Ramen-Restaurants gar nicht als solches eingeordnet, ich zahle jedenfalls, versuche noch einmal erfolglos den Fujisan zu sehen und spaziere zurück zum Hostel, schnappe dort mein Waschzeug und erkundige mich nach dem Onsen. Der hier befindliche ist deutlich teurer, überhaupt scheint das Leben in Bergstädtchen immer teurer zu sein, zumal Fujikawaguchiko eine Touristenmetropole ist. Es gibt drei Becken, zwei davon befinden sich außerhalb mit Blick auf den Lake Kawaguchiko, von welchem aus viele der berühmtesten Bilder des Fujisan aufgenommen wurden. Im Onsen tummeln sich mit mir zwei Japaner und zwanzig Taiwaner, die einen Heidenlärm veranstalten. Sie machen ihren Senior Highschool Ausflug hierher und sprechen dafür erstaunlich schlecht Englisch. Und sie versuchen, mit ihren waschlappengroßen Onsen-Handtüchern, die gibt es, verzweifelt, ihr Gemächt zu verbergen. Die Asiaten…
Am nächsten Tag regnet es aus Kannen, vom Berg ist nichts zu sehen. Ich nehme mir erst eine Wanderung vor, bin aber nach wenigen hundert Metern so durchnässt, dass ich nur noch ein paar Besorgungen bei Post und Supermarkt mache und danach zum Lesen und Schreiben ins Hostel zurückkehre. Und da sitze ich nun, wir sind in der aktuellen Gegenwart angelangt. Die meisten sind heute hier geblieben, es sind nur 7°, morgen soll alles besser werden. Vielleicht erwische ich den scheuen Fujisan noch einmal, am späten Vormittag wird es weitergehen nach Takayama in die japanischen Alpen. Angeblich ist dort das Wetter besser, aber wer weiß das schon vorher in den Bergen.
Viele Grüße, bleibt gesund!
… kuss /mischenka