Viva Transilvanica

„Ok, vielleicht, aber nur vielleicht können wir uns ja darauf einigen, dass Gott die Welt und uns Menschen erschaffen hat, damit wir an ihn glauben. Wenn niemand an ihn glaubt, gibt es ihn nämlich nicht. Fragt sich nur, wer bei diesem Spiel der Allmächtige ist.“

Hätte ich dem Kantor gern noch geantwortet, aber wir müssen weiter. 

Wir haben noch kein Nachtquartier, außerdem ist es im Schatten, wo der Pfarrer und der Kantor mit uns zufällig daher Gekommenen und flugs Eingeladenen picknicken, ziemlich kühl. Mindestens eine dreiviertel Stunde sitzen wir schon. Erfahren von einem  Bärenjungen, das erst gestern und vorgestern hier oben auf der „Breite“, einem beliebten Ausflugsplateau kurz hinter und über Schässburg/Sighisoara, seelenruhig am hellen Tag durch die Wiesen geschlendert ist. Bären schlendern nämlich, das erkennt man am Gang.

Da sie sich vor Menschen meistens verstecken, weiß man nie genau, ob man im Unterholz einen mitlaufen hat. Deswegen schwatzen wir und singen hin und wieder. Seufzen auch mal laut, wenn es etwas steiler bergauf geht oder der Abdruck einer riesigen Tatze im Schlamm zum Seufzen ist. Seufzen erinnert mich an Lefzen, geht mir durch den Kopf.  Haben Bären Lefzen? 

Bestimmt ziehen sie die schon im Unterholz hoch und blecken die Zähne, während wir noch mit dem Kantor und den Pfarrer diskutieren. Sie sprechen Siebenbürgisch-Sächsisches Deutsch, der Pfarrer und der Kantor, nicht die Bären, in einem für mich nicht richtig greifbaren Dialekt zwischen beinahe rollendem R, kleiner Kartoffel im Mund und akzentfrei Deutsch. Logisch, sind ja Deutsche. Klingt jedenfalls sehr sympathisch, und das sind die beiden auch.

An was wir denn glauben, werden wir gefragt. Manchmal will ich darauf einfach nur „an nichts“ antworten, ich denke ja nicht ständig über sowas nach. Ich antworte: „An die Liebe und die Vernunft“.

„Dann werden sie ja gar nicht gerettet!“. Die kleine Frau, die uns die Kirche in Malmkrog aufgeschlossen hat, ist ernsthaft betrübt und will fast weinen. Sie hält meine Hände und guckt mich traurig an. „Nur an ihn glauben, damit können sie nichts falsch machen und schon sind sie in Sicherheit.“ Ich bemühe mich, versichere ich ihr, versuche, nicht zu grinsen, nehme den unsichtbaren Segen, den sie mir schenkt und lasse mich wieder etwas tiefer in den Kommunikationsstrudel fallen, in den wir vor einer halben Stunde eingesogen worden sind. 

Wir saßen auf der Kirchentreppe des UNESCO-Weltkulturerbes vor einer verschlossenen Tür, nächster Gottesdienst erst übermorgen, am Sonntag, stand auf einem Zettel angeschlagen. Seit langen hatten wir mal wieder Netz und versuchten herauszubekommen, wo sich unsere Herberge für diese Nacht befindet. Der Nachname einer Maria war das einzige, was wir wussten, wahrscheinlich sprachen wir den auch falsch aus. Bisher erkannte jedenfalls niemand im Ort unsere Maria, als Laura und Claudiu aus Brasov mit ihren Kindern des Weges kommen. Sie sprechen ein wenig Englisch und wir stellen erfreut fest, dass wir in der selben Pension nächtigen.

Kurz darauf taucht die kleine Frau mit den großen Schlüsseln auf und fragt, ob wir uns die Kirche ansehen wollen. Wir wollen alle, radebrechen lachend durch hunderte Jahre Geschichte und Gegenwart, die Sonne scheint, das Nachtlager ist gesichert, sogar der Segen glänzt und glitzert unsichtbar vor sich hin. Bevor wir später bei Maria am dampfenden Tisch landen, zeigt uns Elena, eine andere Dorfbewohnerin, ausgiebig und mit Anfassen, wie sie traditionelle Muster webt und stickt und diese Kunst an Kinder aus dem Dorf weitergibt. Diesmal auf Französisch und Rumänisch, Siebenbürgen ist traditionell vielsprachig.

Als ich mit schmerzenden Füßen – gewandert sind wir ja nebenbei auch fast den ganzen Tag – im Bett liege, sind meine Wörter alle. Ich kann nur noch glücklich brummen wie ein Bär. Eigentlich ja seit gestern schon, als wir mit Hans, Alina, Valentyn und dem Dorfelektriker von einem Ende von Stejărenii zum anderen zogen, um das Haus Nummer 106 aus dem Winterschlaf zu wecken – den Glückstreffer, der sich 15 Kilometer nach dem Pfarrer und dem Kantor aus dem Nichts ergeben hatte.
Aus dem Nichts, an das man eben doch glauben kann.

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